16. Johann Sebastian und Anna Magdalena Bach - ein Arbeitspaar: Musikalienhandel. Teil III
- Eberhard Spree
- 22. Mai
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Aktualisiert: 26. Mai
Am 28. Juli 1750 verstarb Johann Sebastian Bach. Eine physische Zusammenarbeit mit seiner Ehefrau Anna Magdalena Bach war damit beendet. In gewisser Hinsicht blieben sie aber doch ein Arbeitspaar, denn sie setzte den Handel mit Musikalien fort, an dem sie schon zu Lebzeiten ihres Mannes beteiligt war. Ein solches Vorgehen ist für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich. In Leipzig waren zu dieser Zeit zum Beispiel rund zehn Prozent der mehr als zweihundert Einzelhandelskaufleute Frauen, welche die ehemals gemeinsam mit dem Ehemann geführten Geschäfte weiterführten. (Spree 2021, Seiten 122 und 152 ff; siehe auch „Johann Sebastian Bach und Anna Magdalena Bach – ein Arbeitspaar: Musikalienhandel. Teil I und II“) Was Anna Magdalena Bach betrifft, ist 1751 in einer Leipziger Zeitungsanzeige zu erfahren, dass die „Kunst der Fuge“ „entworfen durch Joh. Seb. Bach“ veröffentlicht werden soll und dass dieses Werk „in Leipzig bey der Frau Wittbe Bachin, in Halle bey dem Hrn. Music-Director Bach, in Berlin bey dem Königl. Cammer-Musicus Bach, und in Naumburg bey dem Organist Altnicol“ zu erwerben sei. (Dok III, Seiten 8 f.) In Anzeigen, die zwischen 1752 und 1759 in Zeitungen verschiedener Städte erschienen, teilte Carl Philipp Emanuel Bach mit, dass sein Lehrwerk „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ unter anderem bei der verwitweten Frau Capellmeisterin Anna Magdalena Bach in Leipzig gekauft werden kann. Es ist dabei auffällig, dass es keine weiterführende Auskunft über ihren Wohnort gibt. Das deutet darauf hin, dass sie als Musikalienhändlerin bei Interessenten so bekannt war, dass eine Präzisierung ihres Wohnortes nicht notwendig war. Was könnten weitere Werke sein, mit denen sie handelte? Leider sind dazu keine Zeitungsanzeigen bekannt, so dass aus verschiedenen Fakten Schlussfolgerungen gezogen werden müssen.
1761 erschien ein gedrucktes „Verzeichniß Musicalischer Werke […], welche nicht durch den Druck bekannt gemacht worden […]; welche in richtigen Abschriften bey Joh. Gottlob Immanuel Breitkopf, in Leipzig“ gekauft werden konnten. In diesem Katalog wurden rund fünfzig Werke von Johann Sebastian Bach angeboten, darunter mehr als dreißig Kantaten. (Dok III, Seiten 159 ff.) Die Abschrift des Stimmensatzes einer Kantate kostete durchschnittlich 1 Taler und 7 Groschen. (Spree 2019, Seite 86 ff.) Das lag deutlich über dem Betrag, den ein ausgebildeter Bergmann für seine Arbeit in einem kursächsischen Bergwerk in einer Woche erhielt. In den Katalogen von 1764, 1769, 1770 und 1780 wurden Abschriften weiterer Kompositionen Johann Sebastian Bachs angeboten.
Mit seinen Werken handelte auch Schwiegertochter Johanna Maria Bach (1724–1795). Nach dem Tod ihres Ehemanns Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788) gab sie einen Katalog heraus, in dem unter anderem Werke von Johann Sebastian Bach aufgeführt sind. Dazu teilte sie mit: „Wer von diesen Musikalien etwas zu besitzen wünscht, beliebe sich an die verwittwete Frau Capellmeisterin Bach zu wenden, die für richtige und saubere Copien Sorge tragen wird.“ (NV CPEB 1790, Seite 66)

Abbildung: Verzeichniß des musikalischen Nachlasses des verstorbenen Capellmeisters Carl Philipp Emanuel Bach, Hamburg 1790, Seite 66 (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Mus. Db 312)
Als Johanna Maria Bach 1795 verstarb, teilte ihre Tochter Anna Carolina Philippina Bach (1747–1804) in einer Zeitungsanzeige mit: „Der bisher von meiner sel. Mutter geführte Handel mit den Musikalien meines sel. Vaters und Großvaters wird inkünftige von mir mit der äußersten Aufmerksamkeit fortgesetzt werden.“ (CPEB-Dok, Seite 1293)
Ein erfolgreiches Verlagshaus ging also davon aus, dass Abschriften von Kompositionen Johann Sebastian Bachs gefragt waren. Seine Schwiegertochter und auch seine Enkeltochter (deren Patin übrigens ihre Großmutter Anna Magdalena war) boten ebenfalls seine Werke an. Es wäre kaum nachzuvollziehen, wenn nicht auch seine Witwe damit handelte. Dazu musste sie aber über Kompositionen ihres Mannes verfügen, um Abschriften herstellen zu können. Dem steht eine Aussage von Philipp Spitta (1841–1894) entgegen. Er teilte im 1880 herausgekommenden Band II seiner Monographie „Johann Sebastian Bach“ mit: „Ein Testament hatte Bach nicht aufgesetzt. Sein Nachlaß ward, nachdem ihn die ältesten Söhne um den ganzen Musikalienbestand geschmälert hatten, gerichtlich abgeschätzt“. (Spitta 1880, Seite 761) Diese Aussage dürfte vor allem auf die Annahme zurückzuführen sein, dass die Witwe mit den Musikalien ihres Mannes ja nichts anzufangen wusste. Es ist allerdings lohnend, Abläufe der Erbteilung genauer zu betrachten. Ein Testament, dass seine hinterlassene Frau bevorteilt hätte, konnte Johann Sebastian nicht aufsetzen. Es wäre ungültig gewesen, denn den unmündigen Kindern stand ein vorgeschriebener Anteil zu. Die Vormundschaftsdeputation der Universität wachte darüber, dass sie diesen auch erhielten. Anna Magdalena bekam ein Drittel des Nachlasses, während den neun Kindern, von denen etliche über eigene Einkünfte verfügten, zu gleichen Anteilen die restlichen zwei Drittel zustanden. Anna Magdalena erklärte sich bereit, die Erstellung eines Nachlassverzeichnisses zu übernehmen und die Erbanteile der unmündigen Kinder zu verwalten. Da mit ihr, den fünf erwachsenen Kindern und dem gesetzlichen Vertreter der vier unmündigen Kinder verschiedene Interessengruppen daran beteiligt waren, genügte es der Vormundschaftsdeputation, dass diese dem Nachlassverzeichnis zustimmten. Es ist deutlich, dass im Nachlassverzeichnis nicht das gesamte Eigentum aufgeführt ist, dass zu Lebzeiten Johann Sebastian Bachs im Haushalt vorhanden war. (Spree 2019, Seiten 52 ff.) So fehlen unter anderem sämtliche Musikalien. Es muss hier besondere Absprachen gegeben haben, wobei auszuschließen ist, dass Anna Magdalena auf das ihr zustehende Drittel verzichtete. Im Falle einer Benachteiligung bei der Erbteilung hätte sie Beschwerde einlegen können. Für die Durchsetzung ihrer Interessen stand ihr der anerkannte Jurist Dr. Friedrich Heinrich Graff (1713–1777) als Tutor zur Seite. Er war der Familie schon seit längerer Zeit verbunden und von Anna Magdalena für diese Aufgabe ausgewählt worden. Eine Beschwerde erfolgte aber nicht. Folglich kann davon ausgegangen werden, dass sie (mindestens) ein Drittel der Musikalien ihres Mannes als ihren Anteil erhielt. Den unmündigen Kindern standen ebenfalls Anteile der Musikalien zu. Da Anna Magdalena deren Erbschaften verwaltete, hatte sie auch darauf Zugriff. Sie durfte diese nicht verkaufen, aber wenn sie als Vorlage von Abschriften genutzt wurden, ging den Kindern nichts verloren. (All das stellt Forschungsergebnisse über die Verteilung von Bachs Werken unter seine Söhne nicht infrage. Es sollte allerdings nicht davon ausgegangen werden, dass diese sofort nach seinem Tod erfolgte, weil die Witwe mit diesen Kompositionen nichts anzufangen wusste.)
Mit einem größeren Bestand an Kompositionen ihres Mannes konnte die Witwe Anna Magdalena Bach einen Handel mit Abschriften fortführen, wie es später ihre Schwiegertochter, ihre Enkelin oder auch der Verlag Breitkopf taten. Dem steht nicht entgegen, dass sie Unterstützungen durch die Universität und die Stadt Leipzig erhielt, die als Almosen bezeichnet wurden, im Gegenteil. Solche Unterstützungen wurden gezahlt, wenn eine Person nicht mehr in der Lage war, ihrem Stand entsprechend zu leben. Auf die verwitwete Frau Capellmeisterin Anna Magdalena Bach traf das zu und so wurde sie in der ständischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit standesabhängig unterstützt. Das ist aber kein Beweis für eine lebensbedrohende finanzielle Armut. Solche Zahlungen können auch für die Witwe eines Kaufmanns nachgewiesen werden, die Dienstpersonal angestellt hatte. Voraussetzung für solche Unterstützungen war aber, dass Empfangende ihren Umständen und Fähigkeiten entsprechend zu ihrem Auskommen beitrugen. So muss die Anna Magdalena Bach bezahlten Tätigkeiten nachgegangen sein. Auch als Witwe war sie eine aktive Frau. Sie sah sich in der Lage, die Versorgung ihrer beiden unmündigen Töchter Johanna Carolina (1737–1781) und Regina Susanna (1742–1809) sowie die ihres kognitiv stark eingeschränkten erwachsenen Sohnes Gottfried Heinrich (1724–1763) zu übernehmen. (Spree 2021, Seiten 157 ff.) So, wie Sabine Elisabeth Kuhnau (1671–1743), die Witwe von Bachs Amtsvorgänger, die Dienstwohnung in der Thomasschule verließ und somit die Familie Bach 1723 dort einziehen konnte, suchte sich auch Anna Magdalena nach dem Tod ihres Mannes eine andere Wohnung. Für 1752 ist nachzuweisen, dass sie am Neuen Kirchhof lebte. Die Annahme, dass sie für die Versorgung ihrer Familie nicht auch einen Handel mit Abschriften von Werken ihres Mannes nutzte, hieße ihre wirtschaftliche Kompetenz infrage zu stellen. Es gibt keine Hinweise, dass sie zu gebrechlich war oder es ihr an Voraussetzungen dafür mangelte. Beim Tod ihres Mannes war sie 48 Jahre alt.
Leider haben sich keine Anhaltspunkte erhalten, wie umfangreich dieser Handel war. Zeitlich dürfte sie bis kurz vor ihrem Tod im Februar 1760 in dieser Hinsicht aktiv gewesen sein. In einer Berliner Zeitung wird sie noch wenige Monate vor ihrem Tod durch ihren Stiefsohn Carl Philipp Emanuel Bach als Vertreiberin seines Werks „Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen“ angeführt. (Spree 2021, Seiten 260 f.)
Als Arbeitspartner ihres Mannes war Anna Magdalena Bach in weiteren Bereichen aktiv, worauf in den nächsten Beiträgen eingegangen werden soll.
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