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15. Johann Sebastian und Anna Magdalena Bach - ein Arbeitspaar: Musikalienhandel. Teil II

Autorenbild: Eberhard SpreeEberhard Spree

Gedruckte Noten spielten beim Musikalienhandel in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert nur eine untergeordnete Rolle. Klaus Hortschansky (1935–2016), der sich damit sehr intensiv beschäftigtet, schrieb zusammenfassend: „Ein beträchtlicher Teil des Musikalienhandels lag bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts in den Händen der Musiker selbst. Handschriftliche Musikalien waren schon von altersher ein Handelsobjekt, das Musiker unter ihresgleichen zu finanziellem Gewinn zu nutzen suchten. Sie ließen auf Bestellung Kopien von ihrem Privatbestand machen, sie liehen die Handschriften gegen eine Gebühr zur Kopienahme aus oder sie boten selbst angefertigte Abschriften eigner und fremder Werke zum Kauf an.“ (Hortschansky 1971, Seiten 83f.)

Ein Beispiel für diesen Handel liefert Johann Nikolaus Forkel (1749–1818), der Interesse an Kantaten von Johann Sebastian Bach hatte: „Friedem. Bach […] forderte von mir für den eigentümlichen Besitz des Jahrgangs 20 Louisdʼor [1 Louisdʼor = 5 Taler] für die bloße Durchsicht aber 2 Louisdʼor. Ich war damals nicht reich genug […]. Ich beschloß daher, mir einige der allervorzüglichsten Stücke für meine 2 Ldʼor Communicationsgebühren selbst aus diesem Jahrgange abzuschreiben.“ (Dok III, Seite 327) Auch für Johann Sebastian Bach kann nachgewiesen werden, dass er Musikalien zum Abschreiben zur Verfügung stellte und damit Einkünfte erzielt. In mitteldeutschen Städten spielte geistliche Figuralmusik eine große Rolle. Die Verantwortlichen mussten über ausreichend große Notenbestände verfügen, um an Sonn- und Feiertagen entsprechende Werke aufführen zu können. Akten in Ronneburg, die durch Michael Maul und Peter Wollny gründlich untersucht wurden, liefern Hinweise, was dafür unternommen wurde. (Maul/ Wollny 2003, Seiten 100 ff.) Der Stadtkantor in Ronneburg Johann Wilhelm Koch (1704–1745) durfte für seine diesbezügliche Korrespondenz nämlich die Portokosten in Rechnung stellen und diese Dokumente blieben erhalten. Aus ihnen geht hervor, dass er Kontakte im mitteldeutschen Raum bis nach Hamburg, Güstrow oder auch Fulda unterhielt. Er bat um Musikalien, lieh sie kostenpflichtig aus, damit sie für seinen Bestand abgeschrieben werden konnten. Kontakte zu Johann Sebastian Bach sind in diesen Akten von 1732 bis 1740 nachweisbar. Bei neun Sendungen wird Bach namentlich erwähnt, mehr als zwanzig Sendungen tragen den Vermerk „Leipzig“. Der Kontakt war aber noch intensiver. Das belegen Briefe, die aus dem Hause Bach an Johann Wilhelm Koch gingen.

Auf den Verleih von Noten deutet auch die Notiz Johann Sebastian Bach auf der ersten Partiturseite vom Sanctus (BWV 232) hin. Zum Stimmensatz vermerkte er: NB. Die Parteyen sind in Böhmen bei Graff Sporck“. (NBA II/1a, Seite 102) Kostenpflichtiges Verleihen war aber nicht ohne Risiko. Auf eine Anfrage teilte Johann Sebastian Bach 1742 mit, dass die „ausgeschriebene Stimmen einem Bassisten, Nahmens Büchner geliehen“ wurden, der sie aber „noch nicht zurücke geschickt“ habe. In diesem Brief ist dann auch zu erfahren, dass er eine bestimmte Partitur nicht mehr weggeben wolle, „weil er auf solche Art schon um viele Sachen gekommen“ wäre. (Dok II, Seite 388) Diese Gefahr konnte umgangen werden, wenn Manuskripte für Abschriften nicht verliehen, sondern die gewünschten Kopien im eigenen Haushalt gefertigt wurden.

 

Forschungen über Ehepaare in der Frühen Neuzeit (siehe Wunder 1992) beweisen überzeugend, dass in der Frühen Neuzeit ein Zusammenwirken der Ehepartner im beruflichen Bereich üblich war. (Siehe auch „Johann Sebastian Bach und Anna Magdalena Bach - ein Arbeitspaar: außerdienstliche Auftritte“) Falls es das Ehepaar Bach beim Musikalienhandel anders gehandhabt haben sollte, so müsste das bewiesen werden. Allerdings dürfte das schwierig sein, denn obwohl nur sehr wenige Zeugnisse über das Leben Anna Magdalena Bachs überdauert haben, gibt es doch auch bei dieser äußerst ungünstigen Quellenlage Hinweise, dass sie am Handel mit handgeschriebenen Musikalien beteiligt war. Eine von ihr gefertigte Abschriften der Sonaten und Partiten für Violine solo (BWV 1001–1006) und der Suiten für Violoncello solo (BWV 1007–1012) besaß Georg Heinrich Ludwig Schwanberg (1696–1774). Auf den Umschlag, der diese Kopien enthielt, schrieb er mittig: „Pars 1. Violino Solo senza Basso composèe par Sr. Jean Seb: Bach. Pars 2. Violoncello Solo. senza Basso. composèe par Sr. J. S. Bach. Maitre de la Chapelle et Directeur de la Musique a Leipsic“. (Siehe Abbildung 1)

Abbildung 1: Durch Georg Heinrich Ludwig Schwanberg vorgenommene Beschriftung des Umschlags, der die Abschriften der Sonaten und Partiten für Violine solo und der Suiten für Violoncello solo (BWV 1001–1012) enthielt

(Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Mus.ms Bach P 268)

 

Unten rechts notierte er dazu: „ecrite par Madame Bachen. Son Epouse.“ – geschrieben von Frau Bach, seiner Ehefrau. (Schulze 1980, Seiten 45 ff.) Diese Notiz (siehe Abbildung 2) ist äußerst bedeutsam. Durch sie wurde es möglich, die Notenschrift Anna Magdalena Bach auch bei anderen Abschriften zu identifizieren. (Dadelsen 1957, Seiten 27 ff.)

Abbildung 2: Ausschnitt aus Abbildung 1

„ecrite par Madame Bachen. Son Epouse.“ – geschrieben von Frau Bach, seiner Ehefrau

 

Es haben weitere Kopien Anna Magdalena Bachs in privaten Notensammlungen überdauert. Heinrich Abraham von Boyneburg (1713–nach 1776?) war Eigentümer der Sonate für Violine und Basso continuo G-Dur (BWV 1021), die sie abgeschrieben hatte. (NBA, VI/1, Seite 118 ff.) Sein Neffe Christoph Ernst Abraham von Boyneburg schickte aus seinem Besitz 1799 eine von ihr gefertigte Abschrift der Partita BWV 831 in der frühen c-Moll Fassung an Johann Nikolaus Forkel. (Schulze 2017, Seite 461)

 

Im Haushalt der Familie Bach wurde mit Musik der Lebensunterhalt verdient. Dazu gehörte auch der Handel mit Musikalien. Johann Sebastian Bach dürfte es mit Einkünften aus diesem Bereich recht genau genommen haben. Darauf deutet zumindest ein Brief an einen Verwandten hin, der jahrelang im Haushalt der Familie gelebt und gearbeitete hatte. Dieser bat um ein Exemplar der „Preußische Fuge“ und erhielt zur Antwort, dass er es für 1 Taler erhalten könne. (Dok I, Seite 117 f.) So kann davon ausgegangen werden, dass von Anna Magdalena Bach angefertigte Kopien verkauft und/oder mit einem geldwerten Vorteil verrechnet wurden. Die angeführten Musikalien zeigen also, dass sie am Musikalienhandel mit handgeschriebenen Noten, der in ihrem Haushalt betrieben wurde, aktiv beteiligt war. Leider ist nicht bekannt, welcher Anteil an den Gesamteinkünften der Familie dadurch erzielt wurde.

Die Fähigkeiten, die sie für den Handel mit Musikalien benötigte, sowie die Erfahrungen, die sie dabei machte, werden ihr dann auch in ihren Witwenjahren zugutegekommen sein. Darauf wird im nächsten Beitrag eingegangen.



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