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AutorenbildEberhard Spree

3. Wie viele Kinder hatte Anna Magdalena Bach zu versorgen? Teil II

Dreizehn Kinder brachte Anna Magdalena Bach zur Welt. Zwei Jungen und ein Mädchen verstarben in den ersten Lebenstagen. Zwischen 1723 und 1742 mussten also insgesamt zehn Säuglinge mehrere Monate Tag und Nacht versorgt werden – eine kaum vorstellbare Belastung für eine Frau. Es ist aber Vorsicht geboten, heutige Erfahrungen über die Kinderversorgung in den ersten Lebensmonaten auf die damalige Zeit zu übertragen. In der Ständegesellschaft der Frühen Neuzeit war es nicht ungewöhnlich, dass diese Versorgung durch Dienstpersonal erfolgte. Nutzte vielleicht auch Anna Magdalena Bach solche Möglichkeiten?

Einen Anhaltspunkt liefert eine mehrwöchige Reise, die sie 1732 gemeinsam mit ihrem Mann nach Kassel unternahm. Für den September 1732 ist in dortigen Abrechnungen zu lesen: „Zehrungs Costen dem Cappelmeister Hn. Bach et uxori [und Ehefrau] alhier die Zeit über sie alhier logiret“. (Dok II, Seite 228) Als die Eltern sich auf diese mehrwöchige Reise begaben, war ihr jüngster Sohn Johann Christoph Friedrich erst 2 Monate alt. Es kann ausgeschlossen werden, dass sie ihn mitnahmen. Es gibt keine Hinweise in Kasseler Akten, dass ein Kind mitgenommen wurde und Berichte aus der damaligen Zeit zeigen eindrücklich, dass eine solche Reise für einen Säugling lebensbedrohlich war. Ohne eine Ernährung durch Muttermilch wäre ein Überleben aber einem Wunder gleichgekommen. Wer versorgte also diesen Säugling? Dafür konnte eine Amme angestellt werden, also eine Frau, „welche anderer Leute Kinder an ihrer Brust träncket“, wie es in einem Lexikon von 1732 formuliert ist. (Zedler 1732, Band 1, Spalte 1745) Das war nicht ungewöhnlich. Für die Zeit am Ende des 18. Jahrhunderts wird für Hamburg geschätzt, dass dort 4.000 bis 5.000 Ammen in bürgerlichen Haushalten tätig waren. (Wunder 1992, Seite 189) Bei dem kleinen Johann Christoph Friedrich Bach dürfte die Amme ihre Aufgabe bereits einige Zeit vor der Abreise der Eltern nach Kassel übernommen haben. So konnte sich ein Vertrauen entwickeln und das Ehepaar beruhigt abfahren. Verschiedene körperliche Rückbildungen wären bei Anna Magdalena Bach dann auch abgeschlossen gewesen.


Es gibt nur sehr wenige Quellen, die Auskunft über das Leben von Anna Magdalena Bach geben. Die Kenntnis, dass sie gemeinsam mit ihrem Ehemann nach Kassel reiste, ist nur den beiden kleinen Worten „et uxori“ in den Abrechnungen zu verdanken. Über die Häufigkeit weiterer Reisen können nur Vermutungen angestellt werden, da nicht bekannt ist, wie viele Akten, die darüber Auskunft geben könnten, verloren gingen. Aber selbst die wenigen bekannten Dokumente zeigen, dass die Versorgung von Johann Christoph Friedrich kein Einzelfall gewesen sein dürfte. Sohn Gottfried Heinrich war noch keine 5 Monate alt, als Anna Magdalena Bach 1724 nach Köthen reiste und dort konzertierte. Als sie 1729 dort auftrat, war Tochter Regina Johanna etwas über 5 Monate alt. Für die Strecke von Leipzig nach Köthen benötigte eine Kutsche damals ungefähr 12 Stunden. (siehe Spree 2021, Seite 83) Anna Magdalena Bach war also in beiden Fällen mehrere Tage nicht in Leipzig.


Für die Anstellung von Ammen gibt es auch noch bei weiteren Kindern Indizien. Dazu sei folgendes vorangestellt: Nach wissenschaftlichen Untersuchungen liegt die Schwangerschaftsrate bei Müttern, die nach Bedarf Tag und Nacht voll stillen, in den ersten sechs Monaten nach der Geburt bei weniger als 2 %. (Bundeszentrale 2001, Seite 30, Seite 179) Ein Zusammenhang zwischen dem Stillen und der Verringerung der Fruchtbarkeit war übrigens auch schon zur Zeit von Anna Magdalena Bach bekannt (Wunder 1992, Seite 38) und ein Stillen Tag und Nacht wurde angestrebt, wie einem Lexikon zu entnehmen ist, das 1739 in Leipzig erschien (siehe Abbildung).

Amaranthes: Nutzbares, galantes und curioses Frauenzimmer – Lexicon,

Frankfurt und Leipzig 1739, Spalte 1539


Wenn Anna Magdalena Bach ihre Kinder in den ersten 6 Monaten voll stillte, sind bei den Kindern, welche das Säuglingsalter überlebten, zeitliche Abstände zur jeweils nächsten Geburt von mindestens 15 Monaten zu erwarten. Das ist in vier Fällen nicht der Fall. Es sollte aber nicht ausgeschlossen werden, dass ab dem 5. Monat zugefüttert und dadurch nicht mehr voll gestillt wurde. (Siehe auch Spree 2019, Seiten 184 ff.) Dann wären Abstände, die unter 13 Monaten liegen, Hinweise darauf, dass Ammen die Ernährung übernommen hatten. Nach den Geburten von Tochter Christiana Sophia Henrietta und Sohn Christian Gottlieb waren es weniger als 12 Monate. (siehe auch Spree 2021, Seiten 81 ff.)


Zusammenfassend gibt es also bei den ersten drei Kindern sowie dem sechsten und neunten Kind Anhaltspunkte, dass Anna Magdalena Bach sie durch Ammen ernähren ließ. Es sind keine Belege bekannt, dass sie es bei ihren anderen Kindern anders handhabte. Wie schon angesprochen, war eine solche Versorgung in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich. Dazu sei auch darauf aufmerksam gemacht, dass bei dem abgebildeten Eintrag im Lexikon von 1739 für die Versorgung von Säuglingen Ammen selbstverständlich als Alternative zur Mutter angeführt sind.


Wenn Anna Magdalena Bach ihre Kinder nicht selbst stillte, sondern diese Aufgaben in Lohnarbeit delegierte, ist das natürlich kein Beleg, dass sie sich nicht um ihre Kinder sorgte. Auch waren dadurch ihre Schwangerschaften oder die Geburten nicht weniger beschwerlich. Bei der Versorgung der Säuglinge wurde sie aber entlastet.

Konnte sie bei den vielfältigen Aufgaben im Haushalt auf weitere Unterstützungen zurückgreifen? Darum soll es in den nächsten Beiträgen gehen.




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